Wir reden über Fachkräftemangel, tun aber so, als liege das Problem ausschließlich in der Demografie. Die Wahrheit ist bitterer: Es mangelt nicht nur an Menschen, sondern an Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und echte Leistung zu bringen. Während Politiker und Medien dieses Defizit schönreden, treiben wir mit unserer Bequemlichkeit sehenden Auges in die Krise.
Bis 2036 gehen fast 20 Millionen Menschen in Rente, doch nur 12,5 Millionen Erwerbsfähige drängen nach. Das heißt: Ein dramatisches Loch von 8,5 Millionen Arbeitskräften droht. Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet nicht, ob wir handeln müssen, sondern wie wir noch rechtzeitig die Kurve kriegen.
Das Wohlstands-Paradoxon: Wer schuftet, wer profitiert?
Der Staat hat noch nie Wohlstand geschaffen, sondern es sind die Unternehmer – meist der Mittelstand - und Arbeitenden vergangener Jahrzehnte, die mit Disziplin und Fleiß unseren Wohlstand erarbeitet haben. Diese Menschen kannten keine Viertagewoche, keine Sabbaticals oder Burnout-Seminare. Sie flogen nicht mehrfach im Jahr in den Urlaub, sahen die Business-Class eines Flugzeugs selten von innen, und kannten Burnout höchstens vom Hörensagen. Ein Kicker im Pausenraum, eine hippe Kaffeelounge, glänzend drapierte Bio-Äpfel und teure Ingwer-Shots mögen den Wohlfühlfaktor steigern – aber sie haben noch nie ein Produkt gefertigt, einen Kunden gewonnen oder einen Umsatz gesteigert. Stattdessen sind sie Symbol einer Arbeitskultur, die Komfort oft über Leistung stellt. Echter wirtschaftlicher Erfolg entsteht nicht durch Lifestyle-Accessoires, sondern durch Einsatz, Innovation und harte Arbeit.
Stattdessen investierten Unternehmer in Maschinen, bauten Betriebe auf und arbeiteten fleißig. Heute? Da wird lieber darüber nachgedacht, wie man mit möglichst wenig Aufwand maximalen Gewinn erzielt – idealerweise, ohne dabei ins Schwitzen zu geraten. Übrigens: Menschen checken ihr Smartphone im Durchschnitt zwischen 96 und 352 Mal pro Tag, meist aus Routine oder Langeweile – für Messenger, Social Media oder kleine Aufgaben wie Banking ist immer Zeit. Auffällig ist, wie leicht ein paar Minuten für Zigarettenpausen oder den nächsten Blick aufs Handy investiert werden, während es oft ein Problem zu sein scheint, einmal 15 Minuten länger im Büro zu bleiben. Diese Prioritäten werfen ein bezeichnendes Licht auf unsere heutige Arbeits- und Freizeitkultur.
Ein anderes Beispiel: Der Mittelstand, Rückgrat unserer Wirtschaft, sucht händeringend Nachfolger. Laut Studien stehen bis 2025 etwa 190.000 Unternehmen zur Übergabe bereit. Doch die jungen Generationen zieht es nicht in diese Rollen. Zu riskant, zu viel Verantwortung, zu wenig Freizeit – lieber träumen viele vom Leben als Content-Creator, das mehr mit Follower-Zahlen als mit realen Beiträgen zur Gesellschaft zu tun hat.
Handwerk? Pflege? Fehlanzeige
Die Welt braucht sicher keine neuen Influencer, sie braucht Handwerker, Pflegekräfte, Ingenieure. Doch diese Berufe gelten als „uncool“ – sie erfordern Können, Einsatz und Durchhaltevermögen. Stattdessen gibt es eine Überschwemmung an Fachhochschul-Absolventen mit Management-Titeln, die nie einen realen Arbeitsalltag gesehen haben. Sie wollen mit Mitte 20 das Gehalt eines Sales Directors und scheuen die Realität, dass sie dafür erst etwas leisten müssen.
Und währenddessen zerbricht unser Fundament: Elektriker fehlen, weil Strom nicht durch Likes fließt. Pflegekräfte fehlen, weil keine Influencer-Marke den Alltag in einem Altenheim glamourös macht. Maurer fehlen, weil Häuser nicht aus TikTok-Videos bestehen.
Der Recruiting-Markt: Von Work-Life-Balance und völlig überzogenen Gehaltsvorstellungen
Die Lage im Recruiting-Markt ist desaströs – und das nicht nur wegen des Fachkräftemangels. Unternehmen suchen händeringend Personal, doch in den Gesprächen dreht sich alles um Komfort statt Kompetenz. Kandidaten verlangen Homeoffice von Tag eins, vorzugsweise eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich, und bestenfalls einen Management-Titel, bevor sie überhaupt bewiesen haben, dass sie etwas leisten können.
Berufsanfänger mit kaum Praxiserfahrung fordern erstklassige Arbeitszeiten, unbegrenzten Urlaub und ein eigenes Büro – selbstverständlich mit ergonomischem Designerstuhl. All das in einer Zeit, in der Unternehmen bereits am Limit stehen.
Jobs werden nicht mehr als Chancen gesehen, sondern als möglichst stressfreie Einkommensquelle. Ein Commitment zum Unternehmen? Fehlanzeige. Warum sich binden, wenn der nächste Jobversuch nur einen Klick entfernt ist?
Die "Ich-Gesellschaft" diktiert die Bedingungen. Arbeiten, um zu lernen und zu wachsen? Das war gestern. Heute geht es darum, möglichst wenig zu arbeiten und möglichst viel zurückzubekommen oder herauszuholen. Wer bereit ist, mehr als die erwartete Mindestleistung zu bringen, wird in der Masse der Komfortsuchenden unsichtbar.
Doch die Konsequenzen sind fatal. Um nicht völlig in einigen Bereichen ohne Personal dazustehen, geben viele Personalabteilungen nach. Es wird teuer eingestellt, die Gehaltsstruktur gerät ins Wanken, und die Teamdynamik leidet. Alteingesessene Mitarbeiter, die ihre Verantwortung tragen und sich mit dem Unternehmen identifizieren, sehen ihre Leistungen entwertet – sie zahlen den Preis für die Kapitulation gegenüber überzogenen Erwartungen. Frustration und Demotivation breiten sich aus.
Recruiting ist heute keine einfache Suche nach Talenten mehr – es ist vielmehr ein Wettlauf um die dringendsten Positionen. Es sind nicht die Kandidaten mit den höchsten Gehaltsforderungen, die immer gewinnen, sondern diejenigen, die in den Bereichen eingesetzt werden, in denen die größten Besetzungsprobleme bestehen. Unternehmen sind gezwungen, dort, wo die Personalnot am größten ist, Kompromisse einzugehen und teils überhöhte Gehaltsangebote zu machen. Das führt dazu, dass in vielen Fällen nicht der qualifizierteste, sondern der gefragteste Mitarbeiter die besten Konditionen bekommt. Die wahre Herausforderung liegt darin, die richtigen Talente zu finden, ohne die interne Struktur zu sprengen. Wo das gelingt, profitieren Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen – statt nur kurzfristige Lücken zu füllen, die langfristig erneut Probleme schaffen.
Die Wohlstandslügen der letzten Jahre
Die Debatten über Viertagewochen und Grundeinkommen zeigen, wie tief wir in der Illusion stecken. Diese Vorschläge sind keine Antworten auf den Fachkräftemangel, sondern Realitätsflucht. Gleichzeitig stehen Eltern in Deutschland vor dem Problem, dass bezahlbare Kinderbetreuung fehlt – ein Grund, warum viele nicht einmal halbtags arbeiten können. Hier wäre echte Reformarbeit nötig, doch statt Lösungen zu entwickeln, träumen wir von einer Arbeitswelt, die uns in den Ruin führt.
Mut zur Wahrheit
Die deutsche Arbeitswelt wird nicht durch Bequemlichkeit gerettet, sondern durch Leistung, Einsatz und Verantwortung. Wir müssen aufhören, Illusionen zu nähren, und uns fragen, wie wir Wohlstand sichern. Das heißt, Berufe zu fördern, die wirklich gebraucht werden, statt sinnlos in Studiengänge zu investieren, die keinen Mehrwert schaffen.
Deutschland braucht einen Mentalitätswandel. Es ist Zeit, die Ärmel hochzukrempeln – oder wir müssen akzeptieren, dass unsere Straßen von Schlaglöchern, unsere Schulen von Lehrermangel und unser Gesundheitssystem von Zusammenbrüchen geprägt sein werden – bei immer weiter steigenden Kosten. Wer glaubt, die Welt ließe sich mit TikToks retten, hat sie längst verloren.
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